Forscher und Institutionen via IIIF verbinden
Danke ihnen. Ich bin sehr froh hier zu sein und ich freue mich Ihnen ein bisschen erzählen zu dürfen, warum IIIF wichtig für Forscher der mittelalterlichen Geistesgeschichte ist und warum IIIF ein Mittel sein kann, die Zusammenarbeit zwischen Forschern und Kulturerbe-Institutionen effizienter zu gestalten.
Ich leite ein digitales Archiv, zusammengesetzt aus Text-Daten, die ein mittelalterliches scholastisches Korpus repräsentieren. Dieses Archiv heißt die Scholastic Commentaries and Texts Archive (oder kurz SCTA) und ist Teil von einem Projekt, Text-Daten verfügbar zu machen, die in den mittelalterlichen Handschriften versteckt sind. Und wir versuchen das auf eine wissenschaftliche Art und Weise zu tun.
Dieser wissenschaftliche Anspruch erzeugt den Wunsch nach Vollständigkeit und Transparenz. Eine wissenschaftliche Edition in der digitalen Welt hat das Potenzial, jede editorische Entscheidung transparent zu machen. Ein Forscher muss nicht mehr nur auf die Interpretation eines Editors vertrauen, sondern kann in die Lage versetzt werden, den Kontext jeder editorischen Entscheidung wiederherzustellen und diese Entscheidung nachzuvollziehen.
Obwohl dies sehr attraktive Möglichkeiten sind, bleiben sie nur Theorie ohne die Kooperation der weltweiten Forschungsgemeinde.
Dazu müssen wir die Frage stellen: welche Anreize haben die Institutionen, solche Kooperationen einzugehen? Sie geben wahrscheinlich zu, dass es sehr toll sein würde, wenn Forscher diese Art von Editionen machen würden. Aber eine Selbstverpflichtung zu einer weltweiten Kooperation wie überhaupt jeder Wechsel zu einem neuen Ansatz kann teuer und schwierig sein, also müssen wir auch die Vorteile klar machen.
Meine These ist, dass, wenn wir uns selbst genügend organisieren und wenn wir die richtige Technologie haben, d.h. wenn wir Daten nach allgemeinen Standards öffentlich machen, bekommen die Kulturerbe-Institutionen gleich viel oder sogar mehr zurück als sie investiert haben.
Im Folgenden versuche ich diese Möglichkeit mit einem ausführlichen Beispiel zu illustrieren.
Einer der zentralen Texte der SCTA stammt aus dem zwölften Jahrhundert. Es ist eine Sammlung von „Sentenzen“ von einem gewissen Petrus Lombardus. Dieser Text wurde die ganzen folgenden Jahrhunderte hindurch von mittelalterlichen Autoren genutzt und kommentiert.
Im Rahmen eines Versuchs, ein möglichst vollständiges Bild dieser Kommentartradition zu erhalten, versuchen wir, alle Zeugen von diesem Sentenzen-Text zusammenzubringen. Wir versuchen nicht nur Verweise zu machen, sondern die Zeugen verfügbar zu machen und Möglichkeiten zu bieten, sie auf einer Plattform direkt miteinander zu vergleichen.
Das Problem ist natürlich, dass keine einzelne Institution alle diese Zeugen besitzt. Im Gegenteil: sie liegen auf der ganzen Welt verstreut. Bei dieser Ausgangslage hat keine Institution Lust, Anreiz oder Geld, eine komplette Sammlung anzustreben. Die Forscher hingegen hätten natürlich Interesse daran, aber sie haben weder die Ressourcen, all die Zeugen zu sammeln, noch eben die Zeit, all diese Handschriften einzusehen und zu studieren. Meistens werden daher starke Kompromisse eingegangen. Einige besondere Handschriften werden ausgewählt und der Rest der Überlieferung wird übergangen. Obwohl solche Auswahlen nachvollziehbar sind, wird der Traum von Vollständigkeit doch geopfert und viele kleine, aber wichtige Handschriften bleiben vergessen und werden nicht in die Kommentartradition integriert. Und, weil sie mit dem Rest der Überlieferung nicht verbunden werden, sind sie schwierig zu studieren und entsprechend kaum zu würdigen. So stehen sie isoliert und abgetrennt von der Tradition, in der sie eigentlich von Bedeutung wären.
Ein Beispiel gibt es hier in Leipzig: ein kleines Fragment eines winzigen Teils von Petrus Lombardus’ Sentenzen. Unter dem üblichen Druck von Geld und Zeit würde dieses Fragment vergessen werden. Aber im Zusammenhang der ganzen Überlieferung und als Vergleichsgröße für diese wäre es trotzdem wichtig. Denn es ist ein einzigartiger Zeuge mit Teilen einer Marginalglosse, der in der Tat ein Unikat sein dürfte. Kurz gesagt: beim gerade beschriebenen, herkömmlichen Zugang vernachlässigen wir sie nicht etwa, weil sie nicht wichtig wäre, sondern weil die Zugangshürde zu hoch ist, um den Aufwand zu rechtfertigen.
Mit IIIF sieht die Lage anders aus. Ein einzelnes Bild von diesem Zeugen, zur Verfügung gestellt vom Fragmentarium-Projekt in der Schweiz, wird für mich als Forscher unmittelbar nutzbar. Auf diese Art und Weise können wir alle mit unseren verschiedenen Interessen gewinnen. Denn Leipzig hat natürlich ein Interesse an all den Handschriften, die in Leipzig sind, Fragmentarium hat ein allgemeines Interesse an Fragmenten weltweit, und die SCTA hat ein Interesse an all den Handschriften, die Lombardus Text enthalten.
Hierzu kann ich ein Beispiel zeigen.
Hier können Sie sehen, dass ich nach allen Handschriften gefragt habe, die Lombardus Text enthalten, aber die auf der ganzen Welt verstreut liegen, doch mit der Hilfe von IIIF habe ich alle diese Zeugen an einem Ort vereint. Stellen Sie sich einen Forscher vor, der kein Interesse an Fragmenten hat und keine Ahnung hatte von der Sammlung in Leipzig. Plötzlich, durch sein Interesse an Lombardus und an bereits bekannten Handschriften entdeckt er eine neue interessante Handschrift und hat unmittelbar Zugang dazu. Ohne IIIF und die Kooperation von Kulturerbe-Institutionen würde diese Entdeckung unmöglich bleiben.
Es geschieht etwas, wenn man einen neuen Gegenstand innerhalb eines Beziehungsnetzes, das schon Bedeutung hat, entdecken kann. Plötzlich generiert auch er ein Interesse, das er in einem anderen Zusammenhang nicht haben würde.
Und wenn wir die Werkzeuge gleich zur Hand haben, um etwas mit diesem Gegenstand anfangen zu können, ist es wahrscheinlicher, dass wir wirklich damit arbeiten.
In meinem Fall, wie Sie hier sehen können, habe ich einen einfachen Text-Editor kreiert, mit dem man schon existierende Transkriptionen benutzen kann, um eine neue Transkription zu erstellen, die alle Varianten in diesem Fragment festhalten kann.
Und mit dieser neuen ergänzenden Information können wir dieselbe Information als Annotationen benutzen und teilen.
Hier kann man sehen, dass das Inhaltsverzeichnis einer Edition eine Navigationshilfe für Handschriften werden kann.
Und der Text einer Edition kann ein Hilfstext werden, der es leichter macht, die Handschrift zu erforschen.
Hier kann man auch sehen, dass der Text die Basis für einen Suchdienst werden kann, mit dem man in der Handschrift navigieren kann.
Aber diese Informationen sind nicht begrenzt innerhalb irgendeiner bestimmten Website oder eines Interfaces. Sie sind frei und verfügbar zur Verwendung und Wiederverwendung.
Beispielsweise können wir statt in einer Bild-zentrierten Applikation wie Mirador dieselben Daten ein zweites Mal in einem Text-zentrierten Interface anzeigen, bei dem die Bilder nunmehr als Annotationen erscheinen.
Hier können wir verschiedene Versionen des Textes sehen und die Bilder als Evidenz für die editorischen Entscheidungen konsultieren. Hier können Sie sehen, dass ich den Text vom Leipzig Fragment zeige.
Und es ist genauso leicht das Leipzig Fragment zu zeigen wie eine ganze andere Handschrift, die, zum Beispiel, in Baltimore ist.
Und mit dem Text von diesen Handschriften können wir leicht Text vergleichen.
Dazu kann ich in einer ganz anderen App sein und diese Daten abermals in einer neuen Form antreffen. Diese App wurde entworfen, um Zitate zu studieren. Und wenn ich nach einem spezifischen Zitat suche, finde ich nicht nur den Text, sondern Zugang zu dem Text in jeder Handschrift und auch den jeweiligen Bildern jeder Handschrift.
Und wieder kann ich dieselbe Zitat-Information, die hier aus der SCTA stammt, und die IIIF-Canvas Information, die aus verschiedenen Kulturerbe-Institutionen stammt, benutzen, und damit eine neue Art “IIIF Manifest” erschaffen; ein “Manifest”, das alle “Canvases” zeigt, die ein spezifisches Zitat enthalten.
Oder ein “Manifest” dass alle “Canvases” zeigt, die eine Randnotiz enthalten. Ich glaube, es ist nicht schwierig sich vorzustellen, wie nützlich ein solches Manifest sein kann. Wenn eine Forscherin oder ein Forscher Interesse an der Geschichte von Fußnoten oder Zitations-Praktiken hat, würden sie ein solches Manifest sehr wertvoll finden.
Aber lassen Sie uns am Ende zur ursprünglichen Frage zurückkehren. Es ist sehr nett, dass die Mitarbeitenden dieser Institutionen diese Beispiele in IIIF ermöglichen. Aber was bekommen diese Institutionen zurück? Jenseits der Nutzung von ihren Bildern durch das Internet hindurch ist es auch für diese Institutionen möglich, Daten zurück zu bekommen, welche andere Forscher weltweit inzwischen erzeugt haben.
Im Prozess der Erarbeitung einer kritischen Edition, generieren Forscher oft tausende kleine Datensätze, die von hoher Relevanz für die verstreut liegenden Handschriften sind. Es sind viel zu viele Daten, um sie in ein Buch aufzunehmen, aber wenn die Informationen von den Grenzen eines statischen Buchs befreit sind, können sie zahlreichen Nutzern von einzelnen Bibliothekssammlungen weiterhelfen. In der Vergangenheit hatten wir keine sinnvolle Möglichkeit, diese Daten den Institutionen zurückzugeben, und aus diesem Grund haben wir verworfen, was sich nicht in ein Buch einfügen ließ.
Um diese Situation zu verbessern, haben wir eine Methode entwickelt, damit Forscher und Forschungs-Gemeinden via IIIF Bibliotheken und Museen informieren können, wenn sie Daten erschaffen haben, die zu ihren Sammlungen in Beziehung stehen. Und wir haben einen Ansatz entwickelt, dass IIIF Viewers (wie Mirador) diese Daten nahtlos in ihrer Nutzeroberfläche importieren können.
Lassen Sie mich mit ein Paar Beispielen aufhören:
Hier können Sie sehen, dass ich mit einer Suche bei Fragmentarium (oder Universität Leipzig) anfange. Ich entdecke eine Handschrift von Interesse und ich importiere diese Handschrift in Mirador. So weit so gut. Ich kann diese Handschrift erforschen, aber es ist noch schwierig, darin zu navigieren. Ich brauche ein Inhaltsverzeichnis und Transkriptionen. Es wäre schade, wenn Fragmentarium oder andere Institutionen diese Information erzeugen müssten, denn ich habe diese Information schon erarbeitet als Teil von meiner Forschung.
Aber mit IIIF und einer Technologie, die „Linked Data Notifications“ heißt, kann ich jetzt eine Mitteilung machen, und durch diese Mitteilung sind meine Forschungsdaten verfügbar und verbunden mit diesen Bildern von Fragmentarium.
Nachdem ich, als Forscher, eine Mitteilung gemacht habe, kann ein anderer Nutzer in einem vollkommen verschiedenen Zusammenhang, vielleicht auf der Website von einer Bibliothek oder anderen Institution, Zugang zu dieser Information haben.
Also, hier können Sie den Text sehen, wie er bei Fragmentarium scheint, mit minimalistischem Inhaltsverzeichnis und ohne Transkription.
Aber jetzt nach meiner Mitteilung kann ein Nutzer, ohne mich oder die SCTA zu kennen, per Klick eine Liste von verfügbaren ergänzenden Forschungsdaten bekommen.
Und dann, mit einem Klick, kann die Nutzerin oder der Nutzer entscheiden, ob er diese Information importieren will oder nicht.
Ich bin der Meinung, dass wir hier nur den Anfang dessen sehen, was Möglich ist. Aber ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, dass wir diese Möglichkeiten nur realisieren können, wenn wir zusammenarbeiten. Konkret bedeutet dies, dass wir allgemeinen Standards wie IIIF folgen müssen. Aber ich hoffe, ebenso klar gemacht zu haben, dass diese Arbeit sich lohnt. Die zusätzliche Mühe, die gefordert ist, um diese Möglichkeiten zu realisieren, zahlt sich [fast schon] automatisch aus, und alle können gewinnen: sowohl die Kulturerbe-Institutionen als auch die Forschenden und die Forschungs-Gemeinden.
Jetzt freue ich mich auf Ihre Fragen und ich bin auch gerne bereit, einige meiner Demonstrationen mit ein bisschen mehr Details zu zeigen.